Henne-und-Ei des Wissensmanagements
Wissensmanagement oder Organisationales Lernen – wer war zuerst da?
Um im heutigen, dynamischen Umfeld zu bestehen, müssen Organisationen anpassungsfähig sein, das heisst rasch hinzulernen und sich verändern können. Im Gegensatz zu individuellem spricht man von «organisationalem Lernen».
Was für eine Rolle spielt Wissen im Lernprozess von Organisationen? Die alltägliche Erfahrung legt nahe, dass Wissen und Lernen eng miteinander verknüpft sind. In ihrem Buch «Integriertes Wissens- und Innovationsmanagement» beschreiben Rolf und Swetlana Franken (2011, S. 27) den Zusammenhang von Wissen und Lernen wie folgt:
«Man kann Wissen als einen Zustand beschreiben, der dem Lernen als Prozess der Wissensveränderung vor- und nachgelagert ist. [….] Wir betrachten Lernen als einen dynamischen Zustand, der sich ständig verändert. Diese Veränderung wird durch den Prozess des Lernens verursacht. Als Ergebnis des Lernens kommt ein neues Wissen zustande.»
Veränderungen des Wissens von Organisationen finden demnach durch organisationales Lernen statt. Es gibt also kein Wissen ohne Lernen. Die Fehler früherer Wissensmanagement-Generationen (lesen Sie hierzu unseren Artikel «Von Wissensflüssen und Hindernissen») vermeidend, darf dieses Wissen nicht irgendwo brachliegen, sondern muss «fliessen». Das ist die heutige Aufgabe von Wissensmanagement.
Wenn es das eine nicht ohne das andere gibt, stellt sich die Frage, was zuerst da war: das Management von Wissen oder das Lernen von Organisationen?
Wir lösen das Henne-oder-Ei-Problem, wenn wir uns auf die Begriffe konzentrieren. Bereits 1978 schrieben die Pioniere Argyris und Schön über das organisationale Lernen. Nach Argyris und Schön findet organisationales Lernen grundsätzlich statt, wenn Menschen ihre Handlungsergebnisse mit Erwartungen vergleichen. Lernen geht hierbei Hand in Hand mit dem Entdecken und Korrigieren von Fehlern. Aus dieser Annahme entstanden die Konzepte des Single und Double-Loop-Lernens (Argyris & Schön, 1978, Organizational Learning: A Theory of Action Perspective). Zwölf Jahre später, 1990, erschien das Buch «The Fifth Discipline: The Art and Practice of the Learning Organization» von Peter Senge. An Systemdenken anknüpfend verband er in diesem heute längst zum Klassiker avancierten Werk wissenschaftliche Erkenntnisse, spirituelle Weisheiten, Psychologie, Führungstheorien und praktische Erfahrungen von Spitzenunternehmen. Nach Senge heisst Lernen, sich selbst neu erschaffen und neue Fähigkeiten erwerben, die einem vorher fremd waren. Ein ganz anderer Ansatz als der von Argyris und Schön also. Nach seiner Theorie müssen fünf Fertigkeiten beherrscht werden, um sich als lernende Organisation entwickeln zu können, unter anderem das Lernen im Team und gemeinsame Visionen.
So kam der Begriff Wissensmanagement auf jeden Fall später als organisationales Lernen. Vielleicht ist er auch aus der Literatur zu organisationalem Lernen entstanden? Nun, da wir die Frage nach der Henne und dem Ei geklärt hätten, bleibt unklar, wie die beiden Konzepte zueinander stehen.
Es gibt verschiedene Ansichten, wie organisationales Lernen und Wissensmanagement zueinander in Bezug stehen. Man könnte beide Konzepte beispielsweise als relativ unabhängig voneinander, ja fast konkurrierend betrachten und unter verschiedenen Gesichtspunkten vergleichen. So geht Prusak (2001, Where did knowledge management come from, IBM Systems Journal, VOL 40, NO 4, S. 1002 f.) recht hart mit den «Vertretern» des organisationalen Lernens ins Gericht:
«They [organizational learning people] tend to believe ‹if you develop a process, learning will occur›. Also, there is very little economics or sociology in their work; they fail to specify how learning occurs and what business and economic outcomes we can expect from learning.»
Auch Prange (2002, Organisationales Lernen und Wissensmanagement: Fallbeispiele aus der Unternehmenspraxis, zitiert nach Sakschewski, Organisationales Lernen) geht davon aus, dass Wissensmanagement dem zu abstrakten Konzept der «Lernenden Organisation» den «Rang abgelaufen» habe, da Wissensmanagement viel greifbarer und umsetzbarer sei.
Andere verstehen die lernende Organisation hingegen als übergeordnetes Ziel jeglicher Wissensmanagement-Massnahmen, wie dies die Gesellschaft für Wissensmanagement in ihrem «Wissensmanagement-Modell» darstellt.
Was denken Sie, ist die lernende Organisation das übergeordnete Ziel von Wissensmanagement-Massnahmen oder hat Wissensmanagement der lernenden Organisation den Rang abgelaufen? Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!