Sinkt unser Bildungsniveau mit den Kompetenzen?
«Machen Kompetenzen denn dumm?»
„Ja, weil durch sie die Bildung abhandenkommt.“ Der Didaktikprofessor Jochen Krautz (Bergische Universität Wuppertal) tätigt diese Aussage in einem Interview mit der NZZ vom 14.07.2014.
Herr Krautz ist der Ansicht, dass durch die Kompetenzorientierung die Bildungsinhalte abhandenkommen. Er behauptet, dass die Kompetenzorientierung Fachinhalte vernachlässigt und das selbständige Denken wenig fördert. Bei der Kompetenzentwicklung geht es seiner Meinung nach um ein Training der äusserlichen Funktionsfähigkeit – es geht um Anpassung und trainierbare Fertigkeiten.
Darf man die Gedanken von Prof. Krautz auch auf die Berufsbildung übertragen?
Wenn ja, dann müsste man sich die Frage stellen, warum ein grosser Teil unserer Berufsleute, nicht kläglich scheitert. Ein Schreinermeister mit eigenem Betrieb, welcher sein Fach nicht versteht und bei der Unternehmensführung nicht selbständig denkt? Sind es diese Ergebnisse, die Prof. Krautz fürchtet? Unserer Meinung nach gelingt es eben erst durch die Kompetenzorientierung, fähige Berufsleute hervorzubringen. Ob die Lieblingslektüre des Schreinermeisters Goethes „Faust“ ist, das wissen wir allerdings nicht.
O-Ton Prof. Krautz: «Kompetenzen als pädagogisches Konzept taugen nicht!»
Wenn wir bei Ectaveo Kompetenzen in der Berufsbildung formulieren, so achten wir neben der Abbildung der beruflichen Handlungen ganz speziell auf eine grundlegende Fundierung in den Fachinhalten. Wissen und Verständnis sind dabei eine von mehreren wichtigen Kompetenzdimensionen. Im Zentrum stehen Kompetenzdimensionen, welche auf die Selbstständigkeit, die Reflexionsfähigkeit und das selbstbestimmte Ausgestalten der Berufsrolle abzielen. Und gerade solche Kompetenzen erfordern didaktisch gesehen andere Lernformen für die ganzheitliche Entwicklung, als ein reines „Beziehungsgeschehen zwischen Schülern und Lehrern“ [Prof. Krautz]. Es benötigt eine Auseinandersetzung mit der betrieblichen Realität und die entsprechenden Reflexionsleistungen dazu – allenfalls begleitet durch einen Mentor, welcher nicht unbedingt der Lehrer sein muss.
«Mit den Kompetenzen sinkt das Bildungsniveau» [Prof. Krautz]
Prof. Krautz ist hochkritisch: „Der sich Bildende sucht die Auseinandersetzung mit dem Fachinhalt, will den Inhalt verstehen, Zusammenhänge erkennen und Neuland entdecken. Kurz – er denkt selber. Das selbständige Denken wird durch Kompetenzen aber weniger gefördert. Hier geht es vielmehr um Anpassung und trainierbare Fertigkeiten.“
Diejenigen, die ihr Studium noch vor der Umsetzung der Bologna-Reform abschliessen durften sind unverdächtig – sowohl auf schulischer als auch auf universitärer Ebene, war zu diesen Zeiten das Konstrukt der Kompetenzorientierung noch kein Thema. Diese Generation darf sich also die Frage stellen: Haben die tausenden gymnasialen Schulstunden und die unzähligen universitären Vorlesungsstunden tatsächlich das kritische Denken gefördert und zu keiner Anpassung geführt?