Individualisierte Lernprozesse im Klassenverbund – ein Widerspruch?

Die neueste Literatur im Bereich «Kompetenzmanagement» formuliert folgende Thesen zum Lernprozess:

These 1: Der Arbeitsprozess ist der wichtigste Lernort

Das Konzept des „Workplace Learning“ geht davon aus, dass der Arbeitsprozess der wichtigste Lernort ist. Kompetenzentwicklung findet am Arbeitsplatz statt – sehr oft ausgelöst durch aktuelle Herausforderungen oder Fragestellungen. Die Lernenden bauen während des Arbeitens selbstorganisiert die entsprechenden Handlungskompetenzen auf. (vgl. J. Erpenbeck: Workplace Learning – integrierte Kompetenzentwicklung mit kooperativen und kollaborativen Lernsystemen, 2013)

These 2: Lernen findet individuell statt!

Lernen ist Aktivität. Erst die individuelle Auseinandersetzung mit einer Situation erlaubt nachhaltiges Lernen. Selbstbestimmtes, aktives Lernen verlangt von allen Beteiligten ein Umdenken. Es geht nicht mehr darum, Wissen von den lehrenden Personen aufzunehmen und an entscheidenden Stellen wiederzugeben (auch Bulimie-Lernen genannt), sondern sich aktiv mit der Kompetenzentwicklung auseinanderzusetzen. (vgl.  J. Erpenbeck: Stoppt die Kompetenzkatastrophe – Wege in eine neue Bildungswelt, 2016)

These 3: Lernen ist ein emotionaler Prozess!

Die Anforderung, das Lernen selber zu gestalten, sich zu organisieren und die Verantwortung für den Lernerfolg zu übernehmen, erfordert Selbstdisziplin und geeignete Lernstrategien – und ein gutes Gefühl der Selbstwirksamkeit.  Es braucht die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen, neugierig zu sein, Unsicherheiten auszuhalten und das eigene Handeln und Verhalten zu hinterfragen. Das Gefühl der Selbstwirksamkeit entwickeln Lernende durch Lernerfolge, dem damit verbunden Flow-Gefühl und der Bestätigung durch die Umwelt. Lernende mit einem starken Gefühl der Selbstwirksamkeit sind mutiger, trauen sich auch zu, schwierigere Situationen zu meistern und ertragen Unsicherheit besser. (vgl. R. Arnold / J. Erpenbeck: Wissen ist keine Kompetenz, 2016)

Die Frage ist nun, wie müssen Lernprozesse organisiert werden, um diesen Thesen gerecht zu werden!

In der Regel lernen die Auszubildenden in einem Klassenverbund und in einem vorgegebenen, didaktischen Setting. Das Fachwissen steht im Zentrum und wird anhand von Übungsbeispielen trainiert. Ist das die die Lösung für die Zukunft?

Wir sind der Meinung, hier ist eine neue didaktische Inszenierung des Lernens gefragt. Dabei steht die «Ermöglichungsdidaktik» im Zentrum der Betrachtung, welche einerseits eine didaktische Frage beinhaltet und anderseits die Beziehungsgestaltung im Lernsetting umfasst.